Wenn ein glamouröser Auftritt oder ein Rendez-vous in elegantem Style ansteht oder man ganz einfach nur Leute von Welt beobachten möchte, ist die Le Grand Hall im Badrutt’s Palace Hotel die perfekte Location. Dabei ist sie nicht einfach eines Tages aus dem Nichts entstanden. Im Gegenteil, sie ist das Ergebnis von viel Arbeit, Sorgfalt und Überlegungen, die bis ins späte 19. Jahrhundert zurückreichen.
Kunstkenner werden feststellen, dass die Architektur und Ausstattung dieser eleganten Lobby ihre Inspiration aus dem «Neo-Renaissance»-Ästhetik (englisch: «Renaisssance Revival») bezieht. Die wichtigsten Merkmale dieser Wiederbelebung des Renaissance-Stils, der sich zur Zeit der Errichtung des Palace zwischen 1894 und 1896 grosser Beliebtheit erfreute, sind wohldurchdachte Proportionen und ausgewogene, klare Symmetrien. Die damals entstandenen Bauten und die Innenarchitektur bestechen durch klassische Eleganz, sie sind praktisch, aber keineswegs seelenlos oder funktionell-utilitaristisch – und sie schmeicheln dem Auge. Ihre philosophischen Grundlagen reichen bis in die Antike zurück, als die alten Griechen und Römer die simple Eleganz der mathematischen Prinzipien für ihre Paläste, Tempel und Monumente nutzten.
Streng genommen ist «Neo-Renaissance» eine eher amüsante Fehlbezeichnung. Denn obgleich die Neo- oder Neurenaissance auf den ursprünglichen Renaissance-Prinzipien des 15. und frühen 16. Jahrhunderts beruht, nimmt sie auch bedenkenlos Anleihen bei der Spätgotik und dem Barock auf. So wird ein aufmerksamer Beobachter stilistische Merkmale aus dem Repertoire der verschiedensten Epochen nebeneinander in einem einzigen Raum entdecken. Den Auftraggebern bot sich damit eine breitgefächerte Palette von Möglichkeiten, aus der sie ganz nach Belieben schöpfen konnten.
Das Wohnzimmer von St. Moritz
Ein solcher Auftraggeber war Caspar Badrutt. Er wollte mit seinem Hotel alle anderen übertreffen, und so kam ihm die Popularität des Neo-Renaissance-Stils wie gerufen, um einen unwiderstehlichen Anziehungspunkt für Gäste mit erlesenem Geschmack zu schaffen. Dank seiner Entscheidungen ist die Le Grand Hall ein grosszügiger, prächtig ausgestatteter Raum, der grandios, aber dennoch nicht überwältigend wirkt. Die Buntglasfenster sorgen für natürliches Licht und erinnern an eine Kirche, während die Kassettendecke den Interieurs der Landsitze und Herrschaftshäuser der Aristokratie nachempfunden ist. Dramatische Akzente setzen das gotische Gewölbe und die Pilaster der klassizistischen Säulen am Eingang zum Madonnensaal.
Selbst die Wände wurden mit Sorgfalt gestaltet, um den Gesamteindruck zu verstärken. Die Saalwände der italienischen Renaissancepaläste waren zum Schutz vor Abnutzung bis auf Stuhlhöhe mit Marmor ausgekleidet; darüber hingen Wandteppiche oder Bilder, und die Designer der Neo-Renaissance übernahmen diese Elemente ganz selbstverständlich. Da echter Marmor jedoch sehr teuer war, verwendeten die meisten Hotels der damaligen Zeit stattdessen billigeren Stuck auf Gipsbasis als Imitation. Nicht so Caspar Badrutt: Er beharrte auf echtem Marmor.
Caspars Sohn Hans setzte die Arbeit seines Vaters in dessen Sinne fort. Als er 1898 die Leitung des Hauses übernahm, widmete er dem Dekor und der Einrichtung erhöhte Aufmerksamkeit. Ihm gelang es, die Le Grand Hall mit Leben zu erfüllen und einen Raum zu schaffen, der Luxus und Raffinesse mit Komfort und Leichtigkeit verbindet. Wenn das Palace ein Theater ist, dann ist die Le Grand Hall die unbestrittene Bühne, auf der die Gäste sitzen und die Welt beobachten und sich bei einem Tee, Kaffee oder einem Apéro unterhalten können.
Fotografien aus den Archiven des Hotels zeigen, dass Le Grand Hall vor einem Jahrhundert ganz ähnlich aussah wie heute. Die Sitzgelegenheiten waren über den ganzen Raum verteilt und so angeordnet, dass die Gäste bequem in Gruppen zusammensitzen konnten – Familien, Freunde, Ehepaare, Kinder mit Kindermädchen und so weiter. Die Sessel waren mit Samt gepolstert, und die heutigen Möbel sind im gleichen historischen Stil gehalten. Auf den Tischen befinden sich versilberte Streichholzhalter, die auch heute noch in der Bar Verwendung finden. Die Leuchten dokumentieren den Übergang vom floralen Jugendstil (Art nouveau) zum geometrischen Art déco und erhellen heute die Gänge des Zwischengeschosses sowie den Embassy Ballroom.
Mit seiner wunderschönen Aussicht, dem prunkvollen Dekor und der extravaganten Innenarchitektur ruft die Le Grand Hall als «Das Wohnzimmer von St. Moritz» heute wie damals Bewunderung hervor. Wo sonst findet man Gäste aus aller Welt, die sich beim Afternoon Tea oder Champagner und Kaviar die Zeit vertreiben?