Farbenfrohe Gemälde von verschiedenen Tierköpfen in einer Galerie

Kunst für alle in St. Moritz

Frances Hedges untersucht, warum St. Moritz und Umgebung ein Magnet für so viele kreative Talente ist

«Ich fühle mich hier besser als irgendwo sonst auf der Welt», sagte der Philosoph Friedrich Nietzsche über das Engadin. Diese Ansicht wird von vielen Menschen geteilt, insbesondere von Denkern und Kreativen, die schon immer Trost und Inspiration in dieser spektakulären Landschaft und der idyllischen Abgeschiedenheit der Region gefunden haben. Nietzsche reiht sich ein in eine Liste berühmter Namen, vom Erzähler Thomas Mann und dem Bildhauer Alberto Giacometti bis hin zum britischen Künstler Damien Hirst, der seine 3,7 m hohe, mit Korallen besetzte Skulptur The Monk auf dem St. Moritzersee festfrieren liess, und Gerhard Richter, der im Engadin Fotos anfertigte und sie dann übermalte – kleine Meisterwerke.

Der Sammler Bruno Bischofberger sorgte für Aufsehen, als er 1963 eine Galerie in St. Moritz eröffnete und Koryphäen des Kunstbetriebs wie Andy Warhol und Jean-Michel Basquiat vertrat. Zu der Zeit als die Penthouse-Suite im Badrutt’s Palace Hotel vom deutschen Fotografen, Industriellen und Kunstliebhaber Gunter Sachs bewohnt wurde, an deren Wänden 10 von Warhols berühmten Marilyn-Monroe-Porträts hingen, machte Bischofberger den Ort zu einem weltweit renommierten Zentrum der Kreativität.

In jüngster Zeit haben mehrere hochkarätige Eröffnungen dazu beigetragen, St. Moritz als ernsthaften kulturellen Schauplatz zu etablieren. «Die internationale Anerkennung des Orts als aufstrebende Kunstdestination ist überfällig – Insidern ist sie schon lange bekannt», sagt Barbara Corti, Partnerin und Senior Director bei Hauser & Wirth. Die internationale Galerie, deren Gründer die Schweizer Iwan und Manuela Wirth sind, eröffnete 2018 ihre Aussenstelle in St. Moritz und hat seitdem Werke von Louise Bourgeois, Alexander Calder und Cindy Sherman gezeigt; derzeit werden Werke des mit dem Turner-Preis ausgezeichneten Künstlers Martin Creed zur Schau gestellt. «Wir haben uns schon immer zu ungewöhnlichen Orten und Räumen hingezogen gefühlt», fährt Corti weiter. «Diese Galerie gibt Künstlerinnen und Künstlern und deren Erben die Möglichkeit, ihre Werke in einer Gegend von unvergleichlicher natürlicher Schönheit zu präsentieren.»

Goldene Skulpturen von Tierköpfen in einem Ausstellungsraum
Installationsansicht von Ai Weiwei: Zodiac, Vito Schnabel Gallery, St. Moritz, 27. Januar bis 8. April 2023; Kunstwerke © Ai Weiwei; Foto von Stefan Altenburger; mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der Vito Schnabel Gallery

Künstlerische Vision

Ein Jahr nach der Eröffnung von Hauser & Wirth kam das Muzeum Susch hinzu, eine privat finanzierte Einrichtung im nahe gelegenen Dorf Susch. Sie ist in einem umgebauten Kloster aus dem 12. Jahrhundert untergebracht, welches im 19. Jahrhundert um eine Brauerei ergänzt wurde. Allein die Rekonstruktion des Ensembles erforderte aussergewöhnliche Anstrengungen: Die historischen Strukturen wurden behutsam und mit minimalen architektonischen Eingriffen restauriert. Ein Tunnel stellt die Verbindung zu neuen unterirdischen Anbauten für Ausstellungen, Performances und andere Veranstaltungen her.

Für die polnische Philanthropin Grażyna Kulczyk, die Visionärin hinter dem Projekt, sollen die Einmaligkeit der Galerie und ihre abgelegene Lage Besucherinnen und Besucher dazu verlocken, sich eingehend und kontemplativ mit den ausgestellten Werken auseinanderzusetzen. «Das Engagement, das ein Besuch in Susch erfordert, führt dazu, sich mehr Zeit für die Kunst zu nehmen, und regt zum Nachdenken an», sagt sie. Das Gebäude befindet sich auf dem alten Pilgerweg, der in Santiago de Compostela in Spanien endet – ein glücklicher Zufall, meint Kulczyk, hat sich doch «das Museum selbst zu einer Art Kunstpilgerreise entwickelt». Sein Ziel ist es, durch eine Kombination aus Forschung, temporären Ausstellungen und einem sorgfältig zusammengestellten Veranstaltungsprogramm einen Beitrag zum kulturellen Erbe des Engadins zu leisten, indem es den künstlerischen Dialog auf eine für die Öffentlichkeit zugängliche Weise fördert und Raum für Reflektion schafft.

Kunst- und Kulturzentrum in einem Schloss
Stiftung Not Vital, Schloss Tarasp, Innenansicht; Foto: Eric Gregory Powell

Ein Schloss voller Kunst

Einen ebenso aussergewöhnlichen Rahmen für die Entdeckung von Kunst bietet das imposante Schloss Tarasp, das auf einem kegelförmigen Felshügel thront. Es beherbergt heute eine Sammlung antiker, moderner und zeitgenössischer Werke, dank seines «Schlossherrn», des Schweizer Künstlers Not Vital. Für Vital, der in Umgebung mit Blick auf das Schloss aufwuchs, jedoch weltweit an vielen Städten auf der ganzen Welt gearbeitet hat, war der Kauf im Jahr 2015 eine Art Heimkehr. Er hat sich das Schloss zu eigen gemacht und eine Reihe ortsspezifischer Skulpturen auf dem Gelände installiert. Etwa einen aus Bronze gegossenen Baum, aus dessen Astenden die Buchstaben TAMANGUR (nach einem Gedicht von Pieder Lansel, in dem er den sterbenden Arvenwald von Tamangur mit dem damals verschwindenden Rumantsch verglich) wachsen, und einen 13 m hohen, vierstöckigen Betonturm mit drei separaten Treppen, der Teil seines Schlüsselprojekts Houses to Watch the Sunset ist..

Schätzungsweise 18’000 Besucher kommen jedes Jahr in sein Heimatdorf Sent, um an einer Führung durch das Schloss Tarasp teilzunehmen – ein Beweis dafür, dass die Gegend nicht nur wegen ihrer Berge ein Anziehungspunkt ist. Wer in St. Moritz weilt, hat die Qual der Wahl, wenn es um lokale Galerien geht: Hauser & Wirth, Galerie Andrea Caratsch (die den Nachlass des legendären Modefotografen Helmut Newton vertritt), Vito Schnabel und Galerie Karsten sind alle einen Besuch wert. Was auch immer Sie auf Ihrem Reiseplan haben, die Chancen stehen gut, dass Sie erfrischt und inspiriert aus St. Moritz nach Hause zurückkehren und sofort damit beginnen, Ihr nächstes kulturelles Erlebnis in den Bergen zu planen.

Gemäldeausstellung in einer Galerie
Step Paintings von Martin Creed bei Hauser & Wirth, St. Moritz, 11. Februar bis 10. April 2023

Was es derzeit zu sehen gibt …

Ai Weiwei – Zodiac in der Vito Schnabel Gallery
Ein Set von 12 farbenfrohen Lego-Porträts, die die Tiere des astrologischen Tierkreises darstellen, steht im Mittelpunkt dieser Ausstellung mit Werken des chinesischen Künstlers und Aktivisten.
Bis 8. April 2023

Martin Creed: Step Paintings bei Hauser & Wirth St. Moritz
Entdecken Sie die lebendigen, geometrisch inspirierten Arbeiten auf Papier des mit dem Turner-Preis ausgezeichneten britischen Künstlers und Performers.
Bis 10. April 2023

Kathleen Jacobs – Drift in der Galerie Karsten Greve
Diese amerikanische Künstlerin nimmt die Natur als ihre Muse und befestigt leere Leinwände bis zu drei Jahre lang an Baumstämmen, bevor sie sie mit Farbschichten überzieht.
Bis 22. April 2023

Hannah Villiger: Amaze Me im Muzeum Susch
Die grossformatigen Werke der Schweizer Künstlerin, die auf Polaroid-Fotos basieren, bieten eine neue Perspektive auf das Genre des Selbstporträts.
Bis 2. Juli 2023

Roth Bar bei Hauser & Wirth St. Moritz
Diese dynamische Installation, die der in Deutschland geborene Schweizer Künstler Dieter Roth in den frühen 1980er Jahren konzipierte und die von seinem Sohn und seinen Enkeln weiterentwickelt wurde, ist ein Zentrum für Begegnungen, Musik, Lesungen und Gespräche. Sie wird zusammen mit einem seltenen Selbstporträt des Künstlers präsentiert.
Bis 9. September 2023

Wanda Czełkowska im Muzeum Susch
Diese faszinierende Ausstellung feiert eine polnische Avantgarde-Malerin und Bildhauerin, deren weitgehend unbekanntes Werk es verdient, in den Kanon aufgenommen zu werden.
Juli bis Dezember 2023

Schloss Tarasp, Sent
Erkunden Sie die faszinierende Anlage und das Innere dieses alten Schlosses, in dem Werke aus der Sammlung des Schweizer Künstlers Not Vital zu sehen sind.
Zu bestimmten Terminen können Führungen im Voraus gebucht werden

Conor Mccreedy, Blue Benches
Der südafrikanische, in der Schweiz lebende Künstler und Sammler hat acht massgefertigte Bänke an verschiedenen Orten in der Schweiz aufgestellt, darunter auch in St. Moritz, um Passanten anzuregen, sich einen Moment Zeit zu nehmen, um in der Einsamkeit zu reflektieren oder sich mit anderen auszutauschen.
Dauerausstellung

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