Wenn Sie das Le Restaurant im Badrutt’s Palace Hotel betreten, können Sie sich auf zwei Dinge verlassen. Erstens: Es steht Ihnen ein wundervolles Abendessen bevor. Zweitens: Die Tapete hat eine faszinierende Geschichte zu erzählen.
Im Laufe der letzten Jahrhunderte haben sich Innenausstattungen stark verändert. Königliche Häupter und Aristokraten früherer Zeiten verkleideten ihre Wände entweder mit geschnitzten Holzvertäfelungen oder mit kunstvoll gearbeiteten Tapisserien. Diese Wandverkleidungen waren unmittelbarer Beweis von Reichtum und Macht, die erhebliche finanzielle Mittel verschlangen. Die Herstellung eines einzigen Wandteppichs konnte zwei geschickte Weber leicht drei Jahre lang beschäftigen, und die Kosten für die Herstellung von nur 14 Reihen der vom notorisch verschwenderischen französischen König Ludwig XIV. geliebten Gobelin-Wandteppiche soll mit den Kosten für ein Kriegsschiff konkurriert haben.
Als jedoch die industrielle Revolution auch anderen Teilen der Bevölkerung erstmals ein einigermassen komfortables Leben ermöglichte, wurden diese gewirkten Tapeten als démodé empfunden. Aufstrebende, modern eingestellte Bürger machten sich den technischen Fortschritt zunutze und bevorzugten schnellere, industriell gefertigte Optionen, die auch für kleinere Geldbeutel realistisch waren. Das Ergebnis war ein neuer Trend zum Verkleiden der Wände: Papiertapeten, die entweder auf eine Stoffunterlage oder auch direkt auf die Wand geklebt wurden – damals eine bedeutsame Innovation.
In der Praxis liessen sich Räume nun in wesentlich kürzerer Zeit interessanter und farbenfroher gestalten. Man brauchte nicht mehr jahrelang auf die Fertigstellung einer Reihe von Tapisserien oder auf ein grossflächiges Wandgemälde zu warten. Darüber hinaus boten Bildtapeten die Möglichkeit, berühmte Ansichten, romantische oder inspirierende Szenen mit fortlaufenden Motiven darzustellen. Das Wort «Panorama» wurde erstmals im Volksmund verwendet, weil es von den Tapetenherstellern des 19. Jahrhunderts als Bezeichnung für die von ihnen angebotenen grossen Landschaftsbilder verwendet wurde.
Als die Frage aufkam, wie das Le Restaurant dekoriert werden sollte, war es naheliegend, das Interieur ebenso dramatisch und prachtvoll zu gestalten wie die Aussicht, die sich vom Badrutt’s Palace Hotel auf das Engadin bietet. Eine Panoramatapete war eine logische Entscheidung, die bestimmt auch die anspruchsvollsten Gäste schätzen würden, aber welches Design würde am ehesten Anklang finden?
Der grandiose Entwurf, für den man sich schliesslich entschied, war wahrhaft eindrucksvoll. «El Dorado» ist nach dem mythischen goldenen Königreich benannt, das goldgierige Konquistadoren über Jahrhunderte im Dschungel Südamerikas zu finden hofften. Da das renommierte Unternehmen Zuber & Cie aus Frankreich, dessen Arbeiten dank der ehemaligen First Lady Jacqueline Kennedy auch im Weissen Haus in Washington zu finden sind, keine realen Bilder des fiktiven Königreichs zur Verfügung hatte, liess man der Fantasie der Künstler freien Lauf.
Gemäss den Experten des Archivs von Zuber & Cie stellt El Dorado nicht einen, sondern vier idealisierte Orte dar. Die offensichtlichste Verbindung zu seinem Namensgeber besteht darin, dass die Szene eines tropischen Paradieses vermutlich von Veracruz am Golf von Mexiko inspiriert ist. Die eher europäisch anmutende Seelandschaft passt gut zum nahe gelegenen St. Moritzer See, während ein hoch aufragender Turm an die Architektur der Umgebung von Istanbul und des Schwarzen Meers erinnert. Schliesslich vermitteln dramatische Ruinen, Pyramiden und eine Sphinx ein Gefühl von Grösse, das Ägypten zu einer äusserst beliebten Destination machte.
El Dorado, das 1849 entstand und noch heute gedruckt wird, ist das Werk von drei Künstlern. Für die fachmännisch gemischten Farben war Eugène Ehrmann verantwortlich, ein Chemiker mit einem bemerkenswerten Talent für Farbstoffe auf Indigobasis. Ornamente und Blumen, die in Hülle und Fülle vorhanden sind, wurden von dem renommierten Illustrator Georges Zipélius gestaltet. Joseph Fuchs schliesslich war der Schöpfer und Illustrator der ausgedehnten, weitläufigen Landschaften. Wenn man genau hinsieht, kann man erkennen, dass die Künstler ihre Namen im Design verewigt haben, allerdings in Spiegelschrift, wohl aus Gründen der Bescheidenheit.
El Dorado wurde vermutlich in den frühen 1930er Jahren installiert und bietet den Gästen des Palace seit nun fast einem Jahrhundert eine exotische Kulisse. Nehmen Sie sich bei Ihrem nächsten Besuch im Le Restaurant einen Moment Zeit für die Wandverkleidung. Das wird Ihren Abend noch zusätzlich bereichern.