Klassischer Sportwagen in den Schweizer Alpen

Das schönste Motorsporttreffen in den Bergen

Rory FH Smith freut sich auf die Internationale St. Moritzer Automobilwoche, die Anfang September stattfindet

Wäre da nicht der Unmut des ehemaligen Shell-Chefs im Jahr 1925 gewesen, hätte eine der grössten Oldtimer-Veranstaltungen in den Alpen mit hoher Wahrscheinlichkeit nie stattgefunden.

Denn bis 1925 waren Autos auf den Strassen des Oberengadins verboten. Als dann die ersten Autofahrer in das Tal vorpreschten, ärgerte sich der damalige Chef von Shell als Golfspieler über den aufgewirbelten Staub der Automobile und beschloss kurzerhand, die Strasse teeren zu lassen. Von da an hiess der Strassenabschnitt zwischen Samedan und Pontresina die «Shellstrasse». Schon wenige Jahre später, nämlich 1929, spielte sie eine zentrale Rolle bei der allerersten Internationalen St. Moritzer Automobilwoche.

Oldtimer auf Bergstrassen

Die Fahrer des Bernina Gran Turismo müssen ganz schön viele Kurven bewältigen

«Die Idee dahinter war im Grunde eine touristische», erklärt Claus Müller, Mitglied des Organisationsteams der modernen Internationalen St. Moritzer Automobilwoche. «Erst 1925 wurden Autos auf den Engadiner Strassen zugelassen, und vier Jahre später legten die Hotels und Betriebe des Tals Geld zusammen und organisierten eine Automobilwoche.»

Die Veranstaltungsreihe bestand aus einem Kilometerrennen entlang der Shellstrasse, einem Schönheitswettbewerb vor dem Kurhaus, diversen Geschicklichkeitstests und einer Rallye. Den krönenden Abschluss bildete dann das legendäre Bernina-Rennen. Diese 16,5 Kilometer lange Strecke durch die Berge wurde von einigen der grössten Rennfahrer aller Zeiten befahren, darunter Hans Stuck, der sie 1929 am Steuer eines Austro-Daimler ADR 3.0 gewann, und Louis Chiron, der im Jahr darauf in einem Bugatti T47 den Sieg davontrug.

Nach 1930 versank die Veranstaltung 90 Jahre lang in einen Dauerschlaf, weil die ortsansässigen Unternehmen nicht bereit waren, sie zu finanzieren, meint Müller. Nach beinahe einem Jahrhundert der Inaktivität wurde schliesslich zur Wiederbelebung des Events ein Organisationsteam gegründet, dem Müller sowie der motorsportbegeisterte Kurt Alexander Engelhorn angehörten. Der Startschuss fiel mit dem legendären Bernina Gran Turismo Bergrennen im Jahr 2015.

«Wir haben mit dem Bernina-Rennen auf dem Pass begonnen. Es war eine grosse Herausforderung, die Genehmigungen für die Schliessung eines ganzen Bergpasses auch nur für einen oder zwei Tage zu bekommen», erinnert sich Müller. «Der Berninapass ist eine der wichtigsten Verbindungen zwischen Italien und der Schweiz, aber das Dorf St. Moritz und auch der Kanton Graubünden zeigten sich sehr bereitwillig und haben uns unterstützt.»

Es dauerte nicht lange, bis die Internationale St. Moritzer Automobilwoche einen erheblichen Bekanntheitsgrad erreichte. «Innerhalb weniger Jahre wurde der Bernina Gran Turismo in der ganzen Welt berühmt. Heute kommen die Teilnehmer aus den Vereinigten Staaten, Südafrika, Iran, Ägypten und Indien. Wir begrenzen die Teilnehmerzahl auf 80 Autos, denn das ist eine angemessene Grösse für die Veranstaltung, bei der wir die Möglichkeit haben, mit jedem persönlich zu sprechen“, betont Müller. „Wir wählen nicht nur die Autos, sondern auch die Leute aus. Es ist also nicht notwendig, ein Multimillionen-Dollar-Auto zu haben“, betont er.»

Motorrad- und Auto-Sprintrennen an der Startlinie

Das Sprintrennen Kilomètre Lancé findet auf der Start- und Landebahn des Engadin Airport statt

Für die kommende Veranstaltung, die vom 2. bis 11. September 2022 stattfindet, haben Müller und seine Mitorganisatoren eine ganze Woche voller Veranstaltungen geplant. «Wir haben sechs Events, das ist so ziemlich das Maximum, was wir umsetzen können,», sagt er. «Eröffnet wird das Ganze mit dem Kilometer-Beschleunigungsrennen ‹Kilomètre Lancé› auf der Start- und Landebahn des Engadin Airport. Eines der Highlights werden dieses Jahr die Hot Rods aus den Vereinigten Staaten sein, die eingeflogen werden. Wir haben auch einen 16-Zylinder Streamliner, der aus Schweden kommt, und es gibt zwei Rallyes – eine nur für Vorkriegsfahrzeuge und die zweite für Supercars von 1975 bis 1995.»

Daneben gibt es ein Forum mit Vorträgen, Diskussionen und Workshops zu verschiedenen Themen rund um den Automobilsport sowie ein Motorsport-Rendezvous, das Müller als «eine Art Concours d’Elégance, aber nicht so formell, eher amüsant» beschreibt. Der Besuch der meisten Veranstaltungen ist kostenlos, nur für das Kilometerrennen braucht man eine Eintrittskarte.

Teilnehmer und Zuschauer können sicher sein, dass die Organisatoren des Automobilspektakels ihre Verantwortung für die Umwelt ernst nehmen. Tatsächlich war die Internationale St. Moritzer Automobilwoche eine der ersten internationalen Oldtimer-Veranstaltungen, die Massnahmen zur Kompensation ihrer CO2-Emissionen umsetzte. Durch die Unterstützung eines Programms zum Schutz des brasilianischen Regenwaldes kompensierten die Organisatoren die für 2020 und 2021 berechneten CO2-Emissionen, und bei der diesjährigen Veranstaltung kommen erstmals Biokraftstoffe und E-Treibstoffe zum Einsatz. «Zu einer Zeit, als noch niemand danach fragte, haben wir uns um die Umweltauswirkungen unseres Events gekümmert», sagt Müller. «Wir waren unter den Ersten, wenn nicht überhaupt die erste weltweit bedeutsame Veranstaltung in der Oldtimerszene, die ein CO2-Kompensationszertifikat in der Tasche hatte.»

Müller und sein Team, inzwischen bestens vertraut mit der Organisation des Motorsport-Spektakels in den Bergen, haben stets die langfristige Vision für dieses historische Ereignis vor Augen.  An prestigeträchtigen Auto-Veranstaltungen mangelt es zwar nicht, aber ein Oldtimer-Treffen vor der spektakulären Kulisse der Schweizer Alpen hat etwas ganz Besonderes und Einzigartiges. «Das ist hier ein Ausnahme-Event – es ist die ‹Autowoche› für Europa. Da ist für jeden etwas dabei», freut sich Müller.

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