Ein Steinbock stand vor einem Berg
Paolino Massimiliano Manuel

Die Rückkehr Des Königs

Der Steinbock mag eines der ikonischsten Symbole der Schweizer Alpen und des Kantons Graubünden sein, aber seine Geschichte in der Region war eher turbulent.

Zum Bild der Täler und Gipfel der Schweizer Alpen gehören in jedem Fall auch bestimmte Pflanzen und Tiere, die in dieser spektakulären Landschaft beheimatet sind. Darunter das niedliche Murmeltier oder der majestätische Adler. Doch der Superstar der Bergwelt ist zweifellos der Steinbock mit seiner unglaublichen Agilität, seinem durchdringenden Blick und seinen imposanten Hörnern. 

Der Steinbock, oft als «König der Berge» bezeichnet, ist perfekt an seinen Lebensraum angepasst. Er verfügt über ein warmes Winterfell, das sich in den Sommermonaten mausert, und hartkantige Hufe mit einer weichen Unterseite, die hervorragenden Halt am Fels bieten.

Die grösste Steinbockkolonie der Schweiz befindet sich am Piz Albris, in der Nähe des Dorfes Pontresina, mit einer Herde von etwa 1’800 Tieren. Alljährlich zieht es zahlreiche Besucher an diesen Ort, in der Hoffnung, diese erstaunlichen Tiere mit eigenen Augen zu sehen.

Christine Salis ist eine Schweizer Wanderleiterin, die zusammen mit ihrem Mann Marco Touren zur Beobachtung von Steinböcken und Murmeltieren anbietet. Und obwohl Begegnungen mit Steinböcken Teil ihres Alltags sind, ist sie immer wieder beeindruckt. «Was mich am Steinbock fasziniert, ist seine Schönheit, sein majestätisches Wesen und seine prächtigen Hörner», sagt sie. «Er ist ein kraftvolles Tier – es ist erstaunlich, zu beobachten, wie er die Felswand hoch- und runter klettert.»

Ein Steinbock in der Morgensonne.
Ein Steinbock in der Morgensonne; Getty Images

Wenn man den Steinböcken zuschaut, wie sie zufrieden ihr Gras kauen oder schwindelerregende Hänge erklimmen, wiegt man sich leicht in dem Glauben, dass sie hier schon seit Jahrhunderten friedlich leben. Doch die Wahrheit ist etwas komplizierter. Im 18. Jahrhundert wurde der Steinbock nicht wegen seiner beeindruckenden Erscheinung und seiner Trittsicherheit geschätzt, sondern vor allem wegen seiner Hörner, seines Fells und bestimmter Körperteile, die für medizinische Zwecke verwendet oder als Jagdtrophäen bewundert wurden. Dies war sein Verhängnis: Zu Anfang des 19. Jahrhunderts war der Steinbock in der Schweiz ausgestorben.

Die Aussichten standen schlecht für ihn. Doch Robert Mader, ein Hotelier, verfolgte einen Plan, das Steinwild zurück in die Region zu holen. Er wusste von einer grossen Herde, die unter dem Schutz von König Vittorio Emanuele II, dem so genannten ‹Jagdkönig›, durch das Aostatal in Italien streifte. Mader erkundigte sich, ob einige der Tiere in die Schweiz überführt werden könnten. Da er auf dem offiziellen Weg kein Glück hatte, griff er zu abenteuerlicheren Methoden. Er stellte den Kontakt zu einem Wilderer aus der Gegend her, mit dessen Hilfe eine Schar junger Steinböcke und Geissen über die Grenze geschmuggelt wurde. Christine Salis erzählt weiter: «1920 wurden die ersten Steinwild-Kitze in the Nationalpark Zernez gebracht. Irgendwie fühlten sie sich dort jedoch nicht wohl und setzten sich über die Grenze ab. Zwei der Geissen fanden jedoch den Weg zurück in die Schweiz und liessen sich am Piz Albris nieder. Der Wildhüter, der sie entdeckte, hat dann dafür gesorgt, dass einige Böcke hinzukamen.» Danach wuchs die Population schnell an, und das Steinwild verbreitete sich in der ganzen Schweiz; Schätzungen zufolge sind es heute etwa 18’000.

Ein junger Steinbock auf einem Berg.
Ein junger Steinbock auf einem Berg; Getty Images

Eines der absoluten Highlights ist der alljährliche Massenabstieg nach Pontresina zum Äsen, der stattfindet, sobald das Gras im Tal zu spriessen beginnt, etwa im Mai. «Zu der Zeit können Sie die Tiere aus bis zu zwei Metern Entfernung beobachten und fotografieren», sagt Salis. «Dann, Anfang Juni, sieht man sie auf den Hochgebirgspfaden: Pontresina, Alp Languard, Muottas Muragl. Je weiter der Sommer fortschreitet, desto höher klettern sie.» Bei besonders heissem Wetter kann es schwierig werden, Steinböcke zu entdecken, weil sie sich dann in schattige Felsspalten und Höhlen verziehen.

«Ganz gleich, ob Sie Steinböcke beim Grasen in tieferen Lagen beobachten oder ob Sie sie in höheren Lagen aufsuchen, halten Sie stets einen respektvollen Abstand ein», fügt sie hinzu. «Sorgen Sie dafür, dass die Tier ihre Freiheit geniessen können, und erschrecken Sie sie nicht, indem Sie ihnen zu nahe kommen.»

Um an einer kostenlosen Steinbockbeobachtungstour mit Christine und Marco Salis teilzunehmen, besuchen Sie booking.engadin.ch/de/activities (Termine von Mitte Juni bis Mitte Oktober).

Wussten Sie das?

Die Hörner eines Steinbocks wachsen sein ganzes Leben lang und können bis zu einem Meter lang werden. Jedes Jahr kommt ein neuer Ring hinzu; es ist also möglich, das Alter eines Tieres durch Zählen der Ringe zu bestimmen. Die männlichenTiere können bis zu etwa 15 Jahre alt werden, die weiblichen bis zu 20.

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