In der Schaukäserei Morteratsch in Pontresina fühlt man sich zurückversetzt ins Jahr 1900. Die Verfahren sind dort seit mehr als 120 Jahren gleich geblieben. Auch die Ausrüstung, mit der Käsermeister Hansjürg Wüthrich und sein Team arbeiten, ist genau wie damals. Der an der Aussenseite vom Russ geschwärzte Kupferkessel, die groben Leintücher, die schweren Holzkellen. Die zum Erwärmen der Milch erforderliche Wärme wird nach wie vor von einem Feuer geliefert, dessen lange Flammen von einer offenen Feuerstelle in die Höhe züngeln. Kaum zu glauben, dass hier oben auf der Alp Nuova 70 Jahre lang kein Käse mehr produziert wurde, ehe sich Wüthrich und seine Frau Ende der Neunziger Jahre den Traum von der eigenen Schaukäserei erfüllten.
«Den Besucherinnen und Besuchern mein Handwerk zeigen zu können, bedeutet mir sehr viel», sagt der Chef der Sennerei Pontresina. «Wenn es diesen Ort nicht gäbe, würde das Wissen um den Wert der artisanalen Käseherstellung noch Schneller schwinden.»
Rund 200 Liter Milch passen in den gewaltigen Kupferkessel. «Die Rohmilch beziehen wir von den umliegenden Alpen und aus dem Dorf Pontresina. Diese ist zwar schwieriger zu verarbeiten, schmeckt aber einfach besser», erklärt Wüthrich. «Anders als bei pasteurisierter Milch bleiben praktisch alle ursprünglichen Nähr- und Geschmacksstoffe erhalten.»
Damit aus der Rohmilch Käse wird, braucht es zusätzliche Bakterienkulturen und Lab, ein Enzymgemisch aus dem Labmagen von Kälbern, ohne welches die Milch nicht richtig eindicken würde. Die eingedickte Milch wird dann mit der Käseharfe zu Käsebruch verarbeitet. Weiter geht es mit Erwärmen und Rühren, bis die Masse die gewünschte Festigkeit erreicht hat. Nun kommt sie in die für Käse typische runde Form und wird gepresst, um überschüssige Molke herauszudrücken. Im Salzbad nimmt der Käse später Salz auf und gibt noch mehr Molke ab, die Rinde beginnt sich zu bilden und der Geschmack wird intensiver. Im Reifekeller bildet sich die Rinde schliesslich ganz aus, der Käse verändert seine Farbe, und es entstehen die berühmten Löcher..
Eine der Spezialitäten der wohl urtümlichsten Käserei im ganzen Land ist das Gletscher-Mutschli, ein milder und gleichwohl aromatischer Halbhartkäse mit angenehmer Frische. Seinen Namen trägt er, weil die Schaukäserei am Fusse des Morteratsch-Gletschers, fünf Kilometer von Pontresina entfernt, liegt.
Zu den anderen Käsesorten gehört der Heutaler, ein Favorit für alle, die es gern herzhaft-würzig mögen. Die Milch für den charaktervollen Halbhartkäse stammt aus dem Berninagebiet, genauer gesagt aus dem Val da Fain, was auf Deutsch «Heutal» bedeutet. Aus der Molke entsteht auf der Alp Nuova Molkenziger oder Ricotta, wie man auf Italienisch sagt. Er ist ein veritabler kulinarischer Verwandlungskünstler, macht sowohl pur als auch süss mit Konfitüre, Früchten, Zucker, Honig oder Zimt und herzhaft mit Salz oder Kräutern eine gute Figur.
Für die Küche Graubündens ist Käse von enormer Bedeutung. Den berühmten Capuns, in blanchierte Mangoldblätter eingeschlagener Spätzliteig, gibt erst geriebener Bergkäse den letzten Schliff. Maluns, in Butter knusprig ausgebackene Kügelchen aus zerstossenen Kartoffeln und Mehl, zu denen man traditionell Apfelmus reicht, schmecken mit einem Stück Käse gleich noch besser. Auch Maxime Luvara, seit gut zwei Jahren Executive Chef im Badrutt’s Palace, liebt das hiesige Käseangebot. Er sagt: «Zu uns kommen Gäste aus der ganzen Welt. Ihnen zu zeigen, was dieses Land und diese Region kulinarisch zu bieten haben, ist eine der wichtigsten Aufgaben eines Chefs.»
In der Sennerei Pontresina findet man natürlich nicht nur Bündner Käse, sondern auch ausgesuchte Produkte aus anderen Regionen der Schweiz. Sbrinz zum Beispiel. «Dieser Hartkäse reift fast zwei Jahre lang und ist einer meiner grossen Lieblinge», so Luvara. «Dank seines aromatisch-würzigen Aromas lässt er sich wie Parmesan verwenden. Ich kann mir nichts Köstlicheres vorstellen, als einen Teller hausgemachte Gnocchi mit Steinpilzen, über die der Kellner am Tisch Sbrinz raffelt.»
Rund 450 Käsesorten gibt es in der Schweiz. Die beliebtesten davon sind Gruyère und Emmentaler. Sie alle kommen erst richtig zur Geltung, wenn sie zimmerwarm serviert werden. Nach dem Aufenthalt im Kühlschrank braucht Käse ein wenig Zeit, um seinen vollen Geschmack zu entfalten. Eine erstklassige Option – gerade für die kalte Jahreszeit – ist natürlich auch Fondue. Die Sennerei Pontresina bietet die Spezialität aus geschmolzenem Käse in sechs verschiedenen Varianten an, darunter der grosse Klassiker Moitié-Moitié, der je zur Hälfte aus Gruyère und Vacherin besteht. Mit einem Schuss Weisswein und Kirsch ein absoluter Hochgenuss! Darf es ein wenig bündnerischer sein, empfiehlt sich das mit Prosecco und Kirsch verfeinerte Gletscherfondue Engiadinais mit Engadiner Käse. Einfach traumhaft köstlich.
Von der Weide auf den Teller
Die Käserei Sennerei Pontresina liegt am Fusse des Morteratschgletschers, eine kurze Autofahrt von St. Moritz entfernt. Hier wird, auf traditionelle Weise und von Hand, aus feinster Alpenmilch Käse hergestellt, so wie es vor einem Jahrhundert üblich war. Von Mitte Juni bis Ende September können Gäste an den Aussentischen des Sennerei Restaurants Platz nehmen und einen rustikalen Alp-Brunch oder Alp-Lunch, umgeben von Wäldern und mit Blick auf das Berninamassiv, geniessen. Zur Auswahl stehen preisgekrönte, handwerklich hergestellte Käsesorten sowie andere Spezialitäten, darunter mehrere Fondues. Interessierte dürfen auch bei der Herstellung des Käses zusehen. Direkt nach dem Käsen füllt der Alpkäser die warme Frischmolke in einen Holzbottich, wo Sie allein oder zu zweit ein Bad nehmen können: Die näturlichen Wirkstoffe beruhigen und verjüngen die Haut. Die Schaukäserei Morteratsch ist vom 16. Juni bis 2. Oktober 2022, geöffnet.