Tafelsilbers, Badrutt's Palace Hotel, St. Moritz

Silber-Service

Gemäss jahrzehntelanger Tradition wird das feine Tischbesteck im Palace weiterhin sorgfältig geputzt, aufgefrischt und poliert. Text: Nicole Mowbray

Von komisch bis absurd, von alltäglich bis extravagant – das Badrutt’s Palace Hotel ist es gewohnt, seinen Gästen Geschichten zu erzählen. Eine dieser Geschichten ist die des historischen Bestecks, das auf den Esstischen ausgelegt ist.

Die Gedecke im Palace sind seit seiner Gründung im Jahr 1896 fester Bestandteil des stimmigen Ensemble, das dem Hotel seine Eleganz und sein Ambiente verleiht. So wie das glamouröse Abendritual unverändert geblieben ist, bei dem die Gäste zum Dinner in Smoking und Abendrobe mit dem Lift in Le Grand Hall hinunterschweben und sich dann durch den mit Marmor ausgelegten Korridor, der als «Catwalk» bekannt ist, ins Le Restaurant begeben, so präsentieren sich auch die Tische von ihrer elegantesten Seite. In Anbetracht der Liste der ehemaligen Restaurantgäste, in der u.a. Winston Churchill, Charlie Chaplin und Alfred Hitchcock sowie die Familien Niarchos und Onassis, Brigitte Bardot und Marlene Dietrich figurieren, ist dies nicht verwunderlich.

Tafelsilbers, Badrutt’s Palace Hotel, St. Moritz
Ein kunstvolles Muster an einem Griff; Filip Zuan

Jedes Stück Silberbesteck, das mit dem Logo des Palace gestanzt und graviert ist, hat seine eigene Geschichte zu erzählen … wenn man weiss, wo man schauen muss.

Der Direktor Food & Beverage, Gian Müller, verrät den geheimen Code der 18’000 Teile umfassenden Besteckkollektion. «Das eingravierte Turm-Logo des Palace auf jedem Stück gibt einen Hinweis darauf, wann es gekauft wurde, denn das Design des Logos hat sich im Lauf der Jahre verändert», sagt er. Auf dem Tafelsilber aus früheren Zeiten ist sogar sein ‹Einsatzort› eingraviert, also zum Beispiel III étage (dritter Stock), R (Restaurant), BE für bel étage (erster Stock). «Dies half bei der Handhabung und Inventarisierung dieser wertvollen Tafelgeräte», fügt er hinzu.

Evelyne Lüthi-Graf ist Kunsthistorikerin und Archivarin. Sie betreut das Archiv des Palace, das im Untergeschoss des Hotels untergebracht ist. Hier finden sich neben anderen Schätzen von historischer Bedeutung auch Exemplare von Tafelsilber – angefangen vom Eröffnungsjahr des Hotels bis heute. «Das Markenzeichen über die letzten 120 Jahre war immer der Turm», erklärt sie. «Jede Generation hat ein neues Design des Turm-Logos entwerfen lassen – ganz zu Anfang prangte über dem gerade erst gebauten Turm die strahlende St. Moritzer Sonne. Das aktuelle Logo aus dem Jahr 2000 zeigt nur noch den stark stilisierten Turm. Es gab sechs oder Sieben verschiedene Designs.»

Polieren des Tafelsilbers, Badrutt's Palace Hotel, St. Moritz
Polieren des Tafelsilbers; Filip Zuan

Auch die Position des Logos ist von Bedeutung, also ob es sich auf der Vorder- oder Rückseite des Löffels oder der Gabel befindet. «Das liegt an der Art, wie gedeckt wird», erklärt Frau Lüthi-Graf. «Vor 1930 wurden die Tische im Palace à la française gedeckt. Das heisst, die Zinken der Gabel schauten nach unten, die Wölbung nach oben, und nicht à l’anglaise, mit den Zinkenspitzen nach oben. Das ältere Silberbesteck ist auf der Seite, die wir heute als Rückseite betrachten, mit dem Logo graviert, gut sichtbar für den damaligen Gast.»

Die Mode für Besteckgarnituren als Hochzeitsgeschenke begann relativ spät, um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Ursprünglich wurde es für die Betuchten hergestellt, die ihr Silber im Reisegepäck mitführten (etwa auf ihren Bildungs- oder Ferienreisen oder bei militärischen Feldzügen). Später wurden kostengünstigere Materialien wie Silbermetall und im frühen 20. Jahrhundert Edelstahl eingeführt.»

Messer tauchten neben Gabeln und Löffeln auf den Esstischen erst um Mitte des 18. Jahrhunderts auf, und während der Industriellen Revolution begann die Bourgeoisie, sich ganze Besteck-Sets anfertigen zu lassen. Etwa zu dieser Zeit, 1842, führte die Pariser Firma Maison Christofle die elektrolytische Vergoldung und Versilberung ein. Christofle wurde bald zu einem wichtigen Lieferanten für das Palace und andere Luxushotels, ebenso wie Ercuis, ein weiterer französischer Hersteller.

Doch mit diesen prestigeträchtigen Hotelbesteck-Sets kam ein anderer, weniger erfreulicher Trend auf – Diebstahl. «Es war gang und gäbe, dass Gäste einen Kaffeelöffel als Souvenir mitgehen liessen», sagt Lüthi-Graf. «Die Hotels mussten eine grosse Reserve an Kaffeelöffeln bereithalten, was Kosten verursachte und dazu führte, dass viele nach dem Ersten Weltkrieg dazu übergingen, statt Silber leichtes Silberblech oder Stahl zu verwenden.»

Heute ist das Palace stolz darauf, sein Tafelsilber in alter Pracht auf den Tischen in Szene zu setzen. «Am besten ist es im Le Restaurant zu sehen. Dort sind die Tische mit Christofle-Besteck gedeckt und die Oberkellner tranchieren das Fleisch direkt am Tisch mit kostbaren Silberutensilien, wie der Entenpresse oder silbernem Vorlegebesteck», erklärt Gian Müller. «Und der Afternoon-Tea des Hotels wird auf einem zierlichen Ercuis-Silberständer präsentiert.»

Dass das kostbare silberne Essbesteck des Palace noch immer erhalten ist, hat es der sorgfältigen Pflege zu verdanken, die man ihm über Jahrzehnte hat angedeihen lassen. Heute ist ein spezielles Team im Palace für die Reinigung, das Polieren und die Verwahrung des Tafelsilbers zuständig. Und am Ende jeder Saison verbringen eigens dafür bestimmte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bis zu drei Wochen damit, die Stücke mit einer Silberpoliermaschine zu behandeln. Beschädigte oder zerbrochene Besteckteile werden zur Reparatur an einen Spezialisten geschickt. In der Vergangenheit war das Polieren des Bestecks noch weitaus zeitaufwändiger. Es wurde nicht nur vom Argentier (der sich hauptberuflich um das Besteck kümmerte), sondern auch von Legionen anderer Mitarbeiter durchgeführt, die alle mithelfen sollten, das Besteck gegen das «Anlaufen» infolge der durch bestimmte Lebensmittel (z.B. Eiweiss) verursachten Oxidation zu schützen. Mit der Zeit kaufte das Hotel eine Silberputzmaschine – heute immer noch im Einsatz – die neben der Küche aufgestellt und vom sogenannten Brunisseur beaufsichtigt wurde.

Wohin man in diesem legendären Hotel auch schaut, überall wartet eine Geschichte darauf, erzählt zu werden – sogar an Ihrem Tisch.

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